DER TEUFEL FÜHRT REGIE

Originaltitel IL BOSS
Alternativtitel WIPEOUT! (USA)
THE BOSS (Großbritannien, Niederlande)
LE BOSS (Frankreich)
MURDER INFERNO (britischer Alternativ-Videotitel)
   
Land und Jahr Italien 1972
   
Regie Fernando di Leo
Produktionsfirma Cineproduzioni Daunia 70
Produktion Armando Novelli
Drehbuch Fernando di Leo, nach dem Roman "Il Mafioso" von Peter McCurtis
Kamera Franco Villa
Schnitt Amedeo Giomini
Musik Luis Enriquez Bacalov
Kostüme Elisabetta Lo Cascio
   
Darsteller Henry Silva (Lanzetta), Richard [= Nicholas] Conte (Corrasco), Gianni Garko (Kommissar Torri), Antonia Santilli (Rita D'Aniello), Corrado Gaipa (Verteidiger Rizzio), Marino Masé (Pignataro), Pier Paolo Capponi (Cocchi), Howard Ross [= Renato Rossini] (Merende), Vittorio Caprioli (Polizeipräsident), Gianni Musy Glori (Carletto), Mario Pisu (Kommissar Gabrielli), Pietro Ceccarelli (Malione), Andrea Aureli (Antonino), Claudio Nicastro, Salvatore Billa, Sergio Ammirata, Andrea Scotti, Giorgio Dolfin, Gianni Baghino, Luigi Antonio Guerra u. a.
   
deutsche Erstaufführung 06.12.1974
Verleih Adria
Format 1:1,85
Laufzeit 87 Minuten (= 2381 Meter, deutsche Kino-Version)
Home-Entertainment Video:
VPS (82:53 Minuten);
Sunset Video (82:53 Minuten);
VPD, Großbritannien;
Manhattan Video, Niederlande;
Delta Vidéo, Frankreich;
Cine-Hollywood, Italien.

 

Dass Henry Silva, was ideologische Wendigkeit angeht, ein (r)echter Tausendsassa ist, bewies er bereits in Andrea Bianchis DIE RACHE DES PATEN. Die zu harten Schlitzen geballten Augen sprechen auch in Fernando di Leos DER TEUFEL FÜHRT REGIE von der Einsamkeit des Mietkillers, von der sozialen Abkapselung des Watschenmannes. Silvas Lanzetta, wenn er das erste Mal in einem schlichten Blaumann gekleidet auf der Bildfläche erscheint, lädt zu unheilvollen Vermutungen ein, wie auch der längliche Kasten, den er mit sich führt. Sein Ziel ist ein Kino, in dem eine Gruppe alternder, schwabbeliger Mafiosi Ferkelfilme begutachtet, "direkt aus Kopenhagen". Ihre Kommentare ("Da können sich unsere Bienen am Hafen glatt 'ne Scheibe abschneiden!"; "Auf den' kannst du Flöhe knacken!") kennzeichnen die Herrschaften als Mitmenschen von minderer Wesensart. So ist es schon eine höhere Gerechtigkeit, dass Silva alias Lanzetta sich diese Bonzen der Unterwelt zum Ziel auserkoren hat: Seine Flinte spricht, ein Explosivgeschoss verlässt den Lauf, alles fliegt durcheinander - die Gangster fliegen quer durch die Bude!

Spätestens hier wird klar, dass der jüngst Oscar-veredelte Luis Enriquez Bacalov der perfekte Hausmusikant für ein stimmungsvolles Mafia-Großabräumen ist. Vergesst den POSTMANN - das war Luschenkram! Bei IL BOSS dröhnt die Fuzz Guitar des Todes, das pulsierende Piano gibt den Nerven den Gnadenschuss! Ähnlichkeiten zum auf CD veröffentlichten Soundtrack zu THE SUMMERTIME KILLER sind offensichtlich und erwünscht. (Bacalov-Fans sollten auch unbedingt nach der CD zu Fernando di Leos Meisterwerk MILANO CALIBRO 9 Ausschau halten, denn da hat der Maestro zusammen mit der Rockgruppe "Osanna" Klänge gezaubert, die das Herz eines jeden Nudelbullenfilm-Aficionados höher schlagen lassen. Auch schön seine Zusammenarbeit mit den "New Trolls" bei Maurizio Lucidis Über-Giallo DER TODES-ENGEL, die in Form der "Concerti Grossi" jener Gruppe auch auf CD zur Verfügung steht.)

Lanzettas Boss ist die graue Eminenz Richard Conte alias Corrasco, der in seiner Machtpolitik über Leichen geht. Wenn er nicht lebenswichtige Entscheidungen trifft oder Spenden an die katholische Kirche abführt (gewagter Touch für einen italienischen B-Film!), sitzt Corrasco an seinem gotischen Stollentisch und wälzt den revolutionären Dichter D'Annunzio. "Il Boss" will mit dem Massenmord klarstellen, wer im Staate Helgoland das Sagen hat.

Weniger einverstanden mit dieser rüden Maßnahme sind Corrascos direkte Kontrahenten, allen voran der sleazige Cocchi, verkörpert von einem begnadet schäbigen Pier Paolo Capponi, mit ungewohntem Schnäuzer. Seine Aktivitäten mit dem Klappmesser deuten auf einen Sinn fürs Spielerische, welcher sogleich in einer wahnwitzigen Kidnapping-Aktion Ausdruck findet. Auf Cocchis Geheiß wird nämlich die Tochter von Corrascos Unterboss wie folgt entführt: Mädel spielt Ball mit Bodyguard; zwei deutlich als Kettensträflinge erkennbare Dunkelmänner erscheinen und spielen mit; Bodyguard bekommt den Fuß bis zum Heft in den Allerwertesten; das Mädchen verschwindet in der Limousine.

Tja, und wer den Fall Patricia Hearst kennt, der weiß in etwa, wie sich die Sache entwickelt. Töchterlein findet die ganze Angelegenheit nämlich äußerst prickelnd und lässt sich von ihren Häschern (darunter Muskelmann Howard Ross) ordentlich durchbürsten, denn die Wartezeit aufs Lösegeld drückt auf ihre Libido. Als dann Lanzetta erscheint, mit den Bewachern einen zarten Reigen tanzt und die geile Gretel in seinem Privatversteck unterbringt, springt das Schlämpchen gleich auf den Zug des Retters: "Ich möchte gern, dass du mich vögelst! Ein richtiger Mörder fehlt mir noch auf meiner Liste ..." Lanzetta hat aber keinen Bock auf Mucken und vermöbelt sie feste. Aber schließlich verfällt er ihr doch, denn auch Männer mit einem Gesicht wie Krupp-Stahl sind nicht vor den Anfechtungen des Fleisches gefeit.

Boss Corrasco, welcher moralische Skrupel nur in Schaltjahren zulässt, ist mittlerweile ein Pakt mit dem krummen Kommissar Torri (Gianni Garko) eingegangen, der auf Lanzetta warten soll. Aber dieser hat die Schnauze voll mit Rosenkohl und läuft Amok. Überall nur noch kleine Schnipsel! Schließlich verbarrikadiert sich Lanzetta in einer Art finnischer Sauna mitten auf der Alm, nicht wissend, dass eine satte Ladung TNT unter ihm ruht ...

Dass di Leo kein Feind rauer Sitten ist, machen viele seiner Filme deutlich. Natürlich kann IL BOSS dem über alle Maßen großartigen MILANO CALIBRO 9 (aka MILANO KALIBER 9) nicht das Wasser reichen - dazu fehlt dem Drehbuch die dramatische Wucht. So ganz mag man sich nämlich nicht entscheiden, ob die Story zur Gänze den Pfad des schwarzen Thrillers beschreiten soll, oder ob comicstriphafte Überzeichnungen das Werk nicht eher mit einem zynischen Augenzwinkern versehen. (Vgl. etwa jene Szene nach etwa 78 Minuten, als Garko mit dem Polizeichef redet, und dieser sich bei seinen Grimassen fast das Kinn ausrenkt.)

Der Mix aus extremen Brutalitäten und bizarren Details ist deshalb beizeiten etwas irritierend. Keinesfalls aber ist dieser dem Unterhaltungswert des Filmes abträglich: Auf ungemein rasante Weise fährt IL BOSS mit der Vorstellung Schlitten, die Mafia habe Stil und Würde. Hier ballern und betrügen alle kreuz und quer und drauflos, dass der (nicht zart besaitete) Zuschauer allen Grund hat, freudig in die Hände zu klatschen. Die Botschaft am Ende des Filmes lautet, apokalyptisch menetekelnd: "Der Teufel ist weiter unter uns!" Und das ist gut so, denn wenn er uns über wäre, dann stünde es schlecht um die Welt, in der wir leben.

Macht und Moral teilen nur den Anfangsbuchstaben miteinander, aber wenn es Leute gibt, die im täglichen Überlebenskampf das Quäntchen Humor am rechten Fleck nicht vermissen lassen, dann wird auch klar, warum Marino Masé in diesem Film Koteletten hat wie Dagobert Duck. Dann wird alles sonnenklar ...

© by CHRISTIAN KESSLER

 

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