BLUTGERICHT IN TEXAS

Originaltitel THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE
Alternativtitel KETTENSÄGEN-MASSAKER (dt. Videotitel)
NON APRITE QUELLA PORTA (Italien)
LA MATANZA DE TEXAS (Spanien)
MASSACRE A LA TRONCONNEUSE (Frankreich)
MOTORSAVS-MASSAKREN (Dänemark)
   
Land und Jahr USA 1974
   
Regie Tobe Hooper
Produktionsfirma Vortex Inc.
Produktion Kim Henkel & Tobe Hooper
Drehbuch Kim Henkel & Tobe Hooper
Kamera Daniel Pearl
Schnitt Sally Richardson & Larry Carroll
Musik Wayne Bell & Tobe Hooper
Make Up-Effekte keine Angabe!
"Location Sound Recording" Ted Nicolaou
   
Darsteller Marilyn Burns (Sally), Allen Danziger (Jerry), Paul A. Partain (Franklin), William Vail (Kirk), Teri McMinn (Pam), Edwin Neal (Hitchhiker), Jim Siedow (Old Man), Gunnar Hansen (Leatherface), John Dugan (Grandfather) u. a.
   
deutsche Erstaufführung 25.08.1978
Verleih Jugendfilm
Format 1:1,85
Laufzeit 81 Minuten (deutsche Kino-Version); Originallänge: 84 Minuten
Home-Entertainment

Video:
VPS (als KETTENSÄGEN-MASSAKER: stark geschnitten und beschlagnahmt);
VPS (als BLUTGERICHT IN TEXAS: neu freigegeben, angereichert mit Szenen, die in der alten Fassung gefehlt haben, dennoch leicht geschnitten);
Converge Video, Niederlande;
Vipco, Großbritannien (25th Anniversary Special Edition);
Video Treasures, USA;
Media Home Entertainment, USA;
K-Tel Video, Australien.
Laserdisc:
Elite Entertainment, USA ("Letterboxed Collector's Edition" mit Audiokommentaren und vielen Extras).
DVD:
Pioneer, USA (vorbildliche "Special Edition" mit Audiokommentaren, Outtakes, Trailern etc.);
Dutch Filmworks, Niederlande (identisch mit der Pioneer-US-DVD; ausblendbare Untertitel);
On Air DVD, Dänemark (als MOTORSAVS-MASSAKREN; identisch mit der Pioneer-US-DVD; ausblendbare Untertitel).

 

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erleben! Die Freunde Sally, Jerry, Kirk, Pam und der an den Rollstuhl gefesselte Franklin haben sich in ihren Kastenwagen geschwungen und machen den Süden der USA unsicher. Sie erhoffen sich unbeschwerte Tage mit der pittoresken Landbevölkerung - doch weit gefehlt! Die Gruppe nimmt einen Anhalter mit, dessen eigentümliches Verhalten zunächst sehr irritiert. Die Irritation schlägt jäh um in blankes Entsetzen, als der Gast sich vor den Augen der Reisenden lachend mit einem Messer tief in die Hand schneidet. Kurzerhand setzten sie den Anhalter vor die Tür, der ihnen noch einen blutigen Abschiedsgruß auf den Wagen schmiert.

Trotz dieses unschönen Intermezzos erreichen die Freunde ihr Ziel unbeschadet. Bei ersten Erkundungsversuchen gelangen sie zu einer heruntergekommenen Farm, welche von einer unheimlichen Familie bewohnt wird. Die Familie besteht aus mehreren Generationen von Schlachtern, die von der Industrialisierung aus dem Geschäft geworfen worden sind. Da man von alten Gewohnheiten ungern lässt, kreist hier noch immer der Schmiedehammer: Einer nach dem anderen landen die fröhlichen Camper im Schlachtraum der exzentrischen Texaner.

Die letzte Überlebende, Sally, gerät schließlich auch in die Fänge der Familie und wird zu einem Abendessen der besonderen Art geladen, ohne Tischgebet, aber mit ausgefallenen Partyspielen. Sally wartet nicht bis zum Nachtisch, sondern nimmt Reißaus. Die Familie eröffnet die Jagd ...

Ja, dies ist einer jener Fälle, wo der Versuch, mit wenig Geld einen Exploitationfilm zu basteln, in einem veritablen Meisterwerk geendet hat, einem der großen Horrorklassiker der siebziger Jahre! Was Tobe Hooper und seine Mitarbeiter hier geleistet haben, ist definitiv ein Kinostück, dem man sich nicht unter Drogeneinfluss aussetzen sollte, denn während die meisten Genrefilme ihre Wirkung mit kontraproduktivem Gekasper oder grellen Spezialeffekten relativieren, regiert im THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE passagenweise die nackte Panik!

Dabei handelt es sich eigentlich um einen Familienfilm: Es sind zwei unterschiedliche Familien, die hier zusammengewürfelt werden. Die eine repräsentiert das neue Amerika (genauer: den neuen Süden), mit allen Werten, welche die sexuelle Revolution und die Hippiebewegung mit sich gebracht hatten. Die andere ist komplett in der Vergangenheit steckengeblieben und im garstigen Sinne des Wortes traditionalistisch. Selbst der Anhalter vom Anfang (der auch zu der Familie gehört; hervorragende Darstellung von Ed Neal!) bevorzugt den Hammer bei der Tötung von Rindviechern: "The gun's no good!" Man merkt bei den Schlachtern, dass hier einiges schiefgegangen ist. Dabei spielt sexuelle Repression sicherlich eine Rolle, die in der Erschaffung von unerfreulichen Ersatzhandlungen resultiert hat, aber auch die zunehmende Entfremdung von der heimatlichen Scholle ist ein offensichtlicher Faktor, und die Familie tut ihr Bestes, um sich ein eigenes Stück Heimat zu erhalten.

Dass diese Heimat der Albtraum ihrer Umwelt sein muss, ist der Familie nicht einmal bewusst, denn sie tut im Grunde genommen nur das, was einstmals ihr Lebensunterhalt gewesen ist. Die Familie ist nicht an sich böse, auch wenn den Mitgliedern gelegentlich wirklich die Gäule durchgehen. Durch und durch pervertiert, besitzt sie mittlerweile ein eigenes Wertesystem, das im wahrsten Sinne des Wortes ad nauseam das Gewohnte, die Familientradition, weiterführt. Das wird z. B. auch vom Familienoberhaupt, Jim Siedow, sehr schön dargestellt, der ein Gesicht hat, aus dem im einen Moment freundliche Herzlichkeit spricht, das aber blitzschnell zu einer Maske bodenlos enthemmter Grausamkeit werden kann. Die Familienmitglieder planen oder reflektieren die Grausamkeit nicht - für sie sind ihre Taten vollkommen normaler Tagesablauf. Allerdings ist die Familie mittlerweile so "far out", so abgehoben, dass sie für jeden normalen Menschen als Gruppierung gemeingefährlicher Irrer erscheinen muss.

Das alles wurde von Hooper und seinem Ko-Autoren Kim Henkel natürlich nicht intellektuell entworfen, aber es floss doch automatisch in ihre Narrative mit ein. Eine Horrorstory in ihrer texanischen Heimat zu entwerfen, ging Hand in Hand mit dem Versuch, die Gewohnheiten der Umgebung durch fremde Augen zu betrachten. Ebenso, wie das Leben auf dem Lande für die Augen von Stadtmenschen (oder Landeiern, die nach neuen Ufern suchen!) beengend und restriktiv erscheinen muss, so wird hier das Festhalten an Traditionen, die der modernen Welt widersprechen, zu einem gewaltsamen Aufeinanderkrachen unterschiedlicher Lebensformen. Anders ausgedrückt: Da packt Leatherface seine Kettensäge aus und beendet die Diskussion im Nu!

Dass die filmische Umsetzung so gelungen geraten ist, liegt auch an dem fast vollständigen Verzicht auf blutrünstige Effekte, der sowohl auf das niedrige Budget zurückzuführen war als auch auf die unglaubliche Tatsache, dass Hooper ursprünglich ein "PG-Rating" (PG = Parental Guidance), also eine Jugendfreigabe, anstrebte! Der Zuschauer folgt den Identifikationsfiguren (= der "neuen" Familie), ohne durch technische Mätzchen aus der Geschichte gerissen zu werden. Während in der 12 Jahre später gedrehten Fortsetzung der ironische Anteil bereits beträchtlich war (und die Splattereffekte somit durchaus dem abstrakteren Charakter des Filmes entsprachen), wäre die Wirkung des ersten CHAINSAW-Teils durch allzu deutliche Maskentricks doch erheblich geschmälert worden.

Der Aufbau ist ebenso vorbildlich: Ein sehr langsamer Beginn, eine erste "Warnung" durch die immens unerquickliche Szene mit dem Anhalter (in der das wohl allen begreifliche Angstpotential, welches das Mitnehmen von Fremden birgt, ausgemolken wird), dann verschiedene Suspense-Szenen, die in kurzen brutalen Morden kulminieren. Als Sally schließlich in die Fänge der Killer gerät, wird auch der Zuschauer in den Schoß der Familie entführt, und bekommt mehr von den Gewohnheiten und dem Dekorationsgeschmack der Schlachter zu sehen, als ihm vielleicht lieb ist ...

Mit dem Großvater tritt letztlich auch der wahre Patriarch in Erscheinung. Dieser bekommt zwar kaum noch den Schmiedehammer hoch ("My ole Grandpa's the best killer there ever was ..."), erhält aber von seinen Söhnen und Enkeln vorbildliche Unterstützung - hier werden die alten Leute nicht einfach ins Altersheim abgeschoben!

Die letzten 30 Minuten sind reiner Terror und gehören zum Fürchterlichsten, was jemals auf Zelluloid gebannt worden ist. Selbst das Finale entlässt den Zuschauer nicht wirklich aus dem Schrecken, sondern endet mit einem vollkommen enthemmten Leatherface, der einen makabren Totentanz in der gleißenden texanischen Sonne aufführt.

Die Fortsetzungen strebten dieses Nonplusultra des Schreckens gar nicht mehr an: Hoopers eigener THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE PART 2 (das Drehbuch stammt vom PARIS TEXAS-Autoren L. M. Kit Carson!) betonte den schwarzen Humor und den in der Fachliteratur mittlerweile sattsam ausdiskutierten Familien-Subtext (Werbeschlagzeile: "The saw is family!"); Jeff Burrs dritter Teil nahm den Splatteranteil wieder deutlich zurück, fügte aber wenig Neues hinzu; und Kim Henkels Teil 4 war dann endgültig ein lausiger Teeniehorrorstreifen.

Hoopers Original hat in der Zwischenzeit verdientermaßen seinen Platz in der Filmgeschichte eingenommen. THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE ist als vorbildlicher Horrorfilm fester Bestandteil der Kollektion des New Yorker MUSEUM OF MODERN ART. TEXAS ist aber auch ein Film, der heutzutage so nicht mehr zu erwarten ist: ein grotesker, unerbittlicher Absturz in den Wahnsinn. Kein "spaßiger" Horrorfilm - das Johlen fällt wahrlich schwer -, sondern eine ungeheuer wirkungsvolle Untersuchung der Schattenseiten des ländlichen Miteinanders, wie die Waltons sie niemals zu zeigen gewagt hätten! Um Jim Siedow zu zitieren: "You think this is a party?" Da wird jeder zum Vegetarier!

© by CHRISTIAN KESSLER

 

 

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